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Wie kommt der Henrystutzen in den Orient?
Wie kommt der Henrystutzen in den Orient?

Wer Karl Mays Orientzyklus liest, wird feststellen, dass Kara Ben Nemsi etliche seiner Erfolge jenen beiden Gewehren zu verdanken hat, die gemeinhin als die „berühmtesten Gewehre des Wilden Westens“ bekannt sind. Ein oberflächlicher Leser oder ein Bücherwurm, der zu einer bearbeiteten Textfassung des Orientzyklus gegriffen hat, wird sich wohl kaum darüber wundern, dass sich Bärentöter und Henrystutzen in den Händen Kara Ben Nemsis befinden. Ist doch den meisten Lesern bewusst, dass es sich bei Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand um ein und dieselbe Figur handelt, die im Orient halt unter diesem und im fernen Westen unter jenem Kriegsnamen bekannt ist. Warum also sollte das Traum-Ich Karl Mays nicht in beiden Fällen über die gleichen Waffen verfügen?
Der „geneigte Leser“ wird aber wahrscheinlich dann darüber erstaunt sein, dass Kara Ben Nemsi diese beiden Waffen besitzt, wenn er den Orientzyklus entweder in Form der Reprints der Karl-May-Gesellschaft liest, welche die ursprüngliche Zeitschriften-Fassung (Deutscher Hausschatz) wiedergeben, oder aber in einer der mittlerweile zahlreichen Ausgaben, welche die historisch-kritische Textfassung anbieten, die auf die sogenannte „Ausgabe letzter Hand“ aus den Jahren 1907/08 zurückgeht. Dann wird er nämlich bereits im ersten Band mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen, dass Kara Ben Nemsi die beiden Gewehre erst nach Erreichen des Roten Meers in Händen hält. Erstaunlicherweise gibt es während des ganzen Handlungsablaufs zuvor keinerlei Hinweise auf die beiden Gewehre; ja deren Existenz ist sogar aufgrund der bis dahin gemachten Angaben zu den Waffen Kara Ben Nemsis und des Handlungsablaufes eher zu verneinen. Es ist schon verwunderlich, dass Henrystutzen und Bärentöter weder im Verlauf der Erlebnisse im Wadi Tarfaui, wo die Leiche des französischen Kaufmanns Galingré aufgefunden wird, noch im Zusammenhang mit der Überquerung des Schott Dscherid Erwähnung finden. Gleiches gilt auch für die Erlebnisse in der Oase Kbilli oder die Abenteuer am Nil, wo eine holde Maid aus Abrahim-Mamurs Gewalt befreit und dann mit ihrem rechtmäßigen Verlobten nach Kairo zurückgebracht wird.
Genauere Angaben zur Bewaffnung Kara Ben Nemsis werden in die Erzählhandlung erst eingeflochten, nachdem dieser mit Halef am Roten Meer ein Schiff bestiegen hat, um zum Berg Sinai überzusetzen, da beide dort ein Kloster besuchen wollen. Wie allgemein bekannt sein dürfte, wird dieses Schiff jedoch überfallen, wodurch Kara Ben Nemsi und Halef in die Gefangenschaft von Abu-Seïf, dem Vater des Säbels, gelangen und die ganze Reiseplanung über den Haufen geworfen wird.
Als Kara Ben Nemsi kurz vor der Gefangennahme an Deck des Schiffes noch auf Erkundung ausgeht und über Bord schleicht, findet im Orientzyklus erstmals die doch sicherlich nicht uninteressante Tatsache Erwähnung, dass er mit zwei Gewehren unterwegs ist: Es war denkbar, daß ich von der Kajüte aus beobachtet wurde; daher mußte ich die möglichste Vorsicht anwenden. Ich ließ die Büchse und den Stutzen liegen und legte sowohl den Turban als auch den Haïk ab, welche mich durch ihre weiße Farbe verraten hätten (vgl. KMW-IV.1, S. 175).
In der Folge dachte nun das „Schreibende Ich“ konsequent daran, dass sein „Traum-Ich“ zwei Gewehre mit sich herumzuschleppen hatte. So finden die beiden Gewehre denn auch bereits im Zusammenhang mit der Flucht vom Schiff Abu-Seïfs wieder Erwähnung. Als es nämlich Kara Ben Nemsi mit Halefs Hilfe in der Nähe von Dschidda gelingt, sich zu befreien, holen die beiden zuerst ihre Waffen aus der Kajüte des Kapitäns. Die Zeit, genauer nach den Waffen zu schauen, finden sie aber erst nach dem rettenden Sprung vom Schiff ans Ufer. Dort stellt Kara Ben Nemsi mit Beruhigung fest: Meine Gewehre waren geladen; man hatte jedenfalls mit dem Revolver und dem Henrystutzen nicht umzugehen verstanden und sich über den schweren Bärentöter höchlichst wundern müssen (vgl. KMW-IV.1, S. 195).
Woher kamen die Gewehre?
Der aufmerksame Leser wird sich an dieser und an der zuvor erwähnten Stelle gewundert und gefragt haben, wie denn die beiden berühmtesten Gewehre des Wilden Westens den Weg zum Roten Meer gefunden haben. Dass Kara Ben Nemsi einen Revolver besitzt, ist bereits seit seiner Verhandlung mit den Mördern des französischen Kaufmanns bekannt; sieht er sich doch im Verlauf derselben genötigt, diesen zu ziehen (vgl. KMW-IV.1, S. 29). Auch findet sein Gewehr bereits vorher Erwähnung (vgl. KMW-IV.1, S. 20), als er der Blutspur folgt, die von der Leiche des Kaufmanns zum Kadaver des ebenfalls erschossenen Tuareg-Hedjihns führt (Ich folgte ihr [der Blutspur] mit schußbereitem Gewehre). Zwar lässt diese Stelle noch keinen Rückschluss zu, ob Kara Ben Nemsi nun ein oder zwei Gewehre bei sich hat – sagt der Satz doch lediglich aus, dass er ein Gewehr in der Hand hält (das zweite hätte ja noch auf dem Rücken oder am Sattel hängen können) –, doch ist es immerhin auffallend, dass diese erste und auch die weiteren Erwähnungen von Kara Ben Nemsis Gewehr (bis man sich auf dem Schiff auf dem Roten Meer befindet) überhaupt nicht erahnen lassen, dass er die Reise mit etwas anderem als eben nur einem, und dann auch noch einem ganz normalen, unauffälligen Schießprügel unternommen habe. Es wäre doch sicherlich einer Erwähnung wert gewesen, hätte er zwei Gewehre bei sich gehabt, die so gar nichts Orientalisches an sich hatten; zwei derart sonderliche Gewehre, die er später nicht einmal mit nach Mekka nehmen kann, da schon an ihnen der Franke, der Giaur, zu erkennen ist. Nach der Episode am Roten Meer, als sich Kara Ben Nemsi entschlossen hat, Mekka doch zu betreten, spricht die Schwiegermutter Halefs, die sein Ansinnen unterstützt, aufgrund seiner europäischen Waffen zu ihm: »Du gleichest ganz und gar einem Eingeborenen; aber trägt ein Araber solche Waffen? Laß deine Flinte hier, und nimm die meinige dafür.« vgl. KMW-IV.1, S. 258.
Hier ein paar Belegstellen dafür, dass Kara Ben Nemsi im Gegensatz zur eben zitierten Stelle zu Beginn seines Rittes durch die Wüste keine zwei außergewöhnlichen Gewehre bei sich hatte: Als er und Halef z. B. die beiden Mörder des französischen Kaufmanns einholen, hielt es [Kara Ben Nemsi] jedoch nicht für nötig, nach seiner Büchse [Einzahl!] zu langen (vgl. KMW-IV.1, S. 24). Und ehrlich, wie er nun einmal ist, lügt er die Mörder bei der gegenseitigen Vorstellung zu Beginn ihres Gesprächs auch nicht an, sondern gibt seine sächsische Herkunft preis. Er umschreibt diese jedoch dergestalt, dass die entsprechende Angabe von den Mördern nicht weiter hinterfragt wird. (»Dieser hier [Halef] stammt aus der Ebene Admar, und ich gehöre zu den Beni-Sachsa. Wer seid ihr?«, vgl. KMW-IV.1, S. 24). Das ganze Verhalten der Mörder macht deutlich, dass Kara Ben Nemsi von ihnen als Eingeborener betrachtet wird, demnach also zu diesem Zeitpunkt keine augenscheinlich fremdländische Bewaffnung bei sich hat, die ja allein schon ausgereicht hätte, ihn als Franke auszuweisen.
Als im Verlauf der Ereignisse auf dem Schott Dscherid dann die Pferde Kara Ben Nemsis und Halefs mit allem drum und dran in den Abgründen des Salzsees versinken, gelingt es Kara Ben Nemsi als erstem, sich zu retten. Auch hierbei wird deutlich, dass er nur ein Gewehr bei sich hat: Da, da endlich hatte ich festen Boden unter den Füßen, festen, breiten Boden, zwar auch nur Salz, aber es trug mich sicher. Zwei Schüsse krachten - Gott wollte, daß ich noch leben sollte; ich war gestolpert und niedergestürzt; die Kugeln pfiffen an mir vorüber. Ich trug mein Gewehr [Einzahl!], es sei daran erinnert, dass alles andere, was er hier nicht am Körper trägt, unwiederbringlich im Salzsee versinkt] noch auf dem Rücken; es war ein Wunder, daß ich es nicht verloren hatte; aber ich dachte jetzt gar nicht an die Büchse, sondern warf mich gleich mit geballten Fäusten auf die Schurken (vgl. KMW-IV.1, S. 48). Aber noch bevor Kara Ben Nemsi den Feinden zu nahe kommt, hört er hinter sich einen angstvollen Ruf.
»Sihdi, Hilfe, Hilfe!« Ich wandte mich um. Grad an der Stelle, wo ich festen Fuß gefaßt hatte, kämpfte Halef um sein Leben. Er war zwar eingebrochen, hielt sich aber an der dort zum Glücke sehr starken Salzkruste noch fest. Ich sprang hinzu, riß die Büchse [Einzahl!] herab und hielt sie ihm entgegen, indem ich mich platt niederlegte. »Fasse den Riemen!« (vgl. KMW-IV.1, S. 48).
Auch hier wird deutlich, dass er nur ein Gewehr bei sich hat. Und auch als er sich auf der Flucht vor Abrahim-Mamur gezwungen sieht, auf den Kapitän des sie verfolgenden Schiffes zu schießen, wird nur ein Gewehr erwähnt (Ich erhob sehr schnell die Büchse [Einzahl!], welche ich, ohne daß er sie gesehen hatte, bereit gehalten hatte, zielte und drückte los (vgl. KMW-IV.1, S. 135).
Henrystutzen und Bärentöter im Werk Karl Mays

Mit Erstaunen ist somit festzuhalten, dass von Bärentöter und Henrystutzen tatsächlich erstmals am Roten Meer die Rede ist und es für die ganze Reiseroute zuvor keinerlei Hinweise darauf gibt, dass sich Kara Ben Nemsi schon dort mit diesen beiden Gewehren abgemüht hätte (ein Fehler in Mays Erzählung, auf den bereits Annelotte Pielenz hingewiesen hat). Da kommt natürlich die Frage auf, wann und wie denn Henrystutzen und Bärentöter in die Hände Kara Ben Nemsis respektive Old Shatterhands gelangten. Jedem, der „Winnetou I“ kennt, ist wohl bekannt, dass der Büchsenmacher Henry aus St. Louis seinem Schützling, der zu diesem Zeitpunkt noch ein Greenhorn war, zuerst den Bärentöter und später, als sich der Schützling zum bekannten Westmann Old Shatterhand gemausert hatte, auch noch einen 25-schüssigen Stutzen – von dem der alte Henry Gott sei Dank in weißer Voraussicht nur wenige Exemplare anfertigte – geschenkt hat. Allerdings wurde „Winnetou I“ (und damit auch diese Version über die Herkunft der Gewehre) erst im Jahre 1893 verfasst, während „Giölgeda padiśhanün“ab 1880 im „Deutschen Hausschatz“ (und das Kapitel um Abu-Seïf im Jahr 1881) erschien. Nachfolgend soll daher untersucht werden, in welchen Erzählungen Karl May seine Leser schon vor „Giölgeda padiśhanün“ mit Bärentöter und Henrystutzen bekannt machte.
1875: Erstmals taucht der berühmte, 25-schüssige Henrystutzen im Werk Karl Mays im Jahre 1875 in der Erzählung „Old Firehand“ auf, die im ersten Jahrgang (1875/76) des „Deutschen Familienblatt. Wochenschrift für Geist und Gemüth zur Unterhaltung für Jedermann“ erschien. Besitzer dieses Gewehrs ist dort jener anoname Ich-Erzähler, dem es zu guter Letzt doch noch gelingt, die Sympathie von Ellen, der Tochter von Old Firehand und Ribanna, zu erwerben.
Obschon die Erstveröffentlichung der „Old Firehand“-Erzählung unter dem Obertitel „Aus der Mappe eines Vielgereisten. von Karl May“ erfolgte, ist doch von einem „anonymen“ Ich-Erzähler auszugehen, da die Erzählung selbst keinerlei Hinweise auf den Namen des erzählenden Helden enthält. Die Nennung lediglich des Autorennamens oder eines Pseudonyms nach dem Titel der Erzählung ist m. E. nicht ausreichend, die ansonsten gegebene Anonymität des Ich-Erzählers zu durchbrechen.
1877: In der Erzählung „Der Oelprinz. Ein Abenteuer aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika von Karl May“, die 1877 in der Zeitschrift „Frohe Stunden. Unterhaltungsblätter für Jedermann. Sammlung der neuesten und besten Romane und Novellen unserer beliebtesten Schriftsteller der Gegenwart“ erschien, ist es wiederum ein anonymer Ich-Erzähler, der einen Henrystutzen besitzt. Am Rande sei angemerkt, dass Sam Hawkens, der in der „Old Firehand“-Erzählung [bzw. in der im Jahre 1879 erschienenen Umarbeitung dieser Geschichte unter dem Titel „Im fernen Westen“] nur als ein Mitglied der Fallenstellergesellschaft Old Firehands auftritt, in „Der Oelprinz“ als Begleiter des anonymen Ich-Erzählers in Erscheinung tritt.
1877: Der zweischüssige Bärentöter taucht erstmals im Jahre 1877 in einer Erzählung Karl Mays auf. Die erste Erwähnung dieses schweren Gewehrs erfolgt in „Die Gum. Ein Abenteuer aus der Sahara von Karl May“, abgedruckt in der gleichen Zeitschrift wie die oben erwähnte Erzählung „Der Oelprinz“. Der wiederum anonyme Ich-Erzähler erwähnt, dass er dieses Gewehr in der Front-Street in St. Louis erworben habe. Nachdem der anonyme Held dieser Erzählung auch im Besitz des mittlerweile bekannten 25-schüssigen Henrystutzens ist, sind hier erstmals beide Gewehre in einer Hand vereinigt.
1879: Richard Forster, der Held der pseudonym erschienenen Wildwestgeschichte „Ein Dichter. Eine Erzählung aus den Vereinigten Staaten von Karl Hohenthal“ (All-Deutschland! Illustrirtes Hausblatt. 3. Jg. 1879) ist zwar nicht ausdrücklich im Besitz eines Bärentöters und eines Henrystutzens, doch hat er außer seinem „Doppelläufer einen famosen Stutzen dort am Sattel hangen“ (vgl. KMW-I.7-95:32, S. 508).
1879: In der Erzählung „Unter Würgern. Abenteuer aus der Sahara von Karl May“, die 1879 im „Deutschen Hausschatz“ erschien und teilweise auf die im Jahre 1877 veröffentlichte Erzählung „Die Gum“ zurückgeht, taucht nun erstmals im Werk Karl Mays der Name Old Shatterhand auf. Als der ansonsten anonyme Ich-Erzähler einen Targi niederschlägt, erwähnt er lakonisch: „Es war dies ganz derselbe Jagdhieb, wegen dessen mich Emery Bothwell zuweilen >Old Shatterhand< (Schmetterhand) genannt hatte“. Der Ich-Erzähler ist im Besitz einer schweren Doppelbüchse, die abwechselnd als Büffeltöter, Büffelrohr oder Bärentöter bezeichnet wird, sowie eines Henrystutzens nebst Revolver und Bowiemesser, welche alle in der Front Street in St. Louis erworben wurden.
1879: Im Jugendbuch „Im fernen Westen. Zwei Erzählungen aus dem Indianerleben für die Jugend von Carl May und Fr. C. von Wickede“ erscheint 1879 eine Überarbeitung der bereits im Jahr 1875 veröffentlichten „Old Firehand“-Geschichte. Aus Gründen des „Jugendschutzes“ wurde für diese Veröffentlichung die ursprüngliche Geschichte um den anonymen Ich-Erzähler und Ellen, der Tochter Old Firehands und Ribannas, verändert (an die Stelle von Ellen trat ein Junge namens Harry). Erst im Jahre 1893, als die Erzählung in „Winnetou II“ eingearbeitet wurde, wurde der anonyme Ich-Erzähler recht oberflächlich angepasst und zu Old Shatterhand. Der Besitzer des Henrystutzens war somit in dieser umgearbeiteten Erzählung immer noch ein anonymer junger Mann (Ich-Erzähler).
1880: Abgesehen von der kurzen Namensnennung in der Erzählung „Unter Würgern“ (1879) tritt Old Shatterhand zum ersten Male in der im Jahr 1880 im „Deutschen Hausschatz“ erschienenen Erzählung „Deadly Dust. Ein Abenteuer aus dem nordamerikanischen Westen von Karl May“ in der Mythologie der Gestalten Karl Mays auf und schleppt sowohl den 25-schüssigen Henrystutzen als auch den schweren Bärentöter mit im amerikanischen Westen herum. Im Unterschied zur Old Shatterhand-Figur der Erzählung „Unter Würgern“ trägt diejenige der Erzählung „Deadly Dust“ bereits deutliche Züge eines Traum-Ichs des Autors, wie wir es auch aus seinen späteren Werken kennen.
Durch die Ausgestaltung der Heldenfigur zu einem Traum-Ich wurde im Prinzip schon vorprogrammiert, dass dieses im Falle kommender Reisen in den Orient auch dort mit den beiden berühmten Gewehren ausstaffiert würde, zumal diese ja bereits 1877 im Orient-Abenteuer „Die Gum“ (bzw. 1879 in der Erzählung „Unter Würgern“) ihre Wüstentauglichkeit unter Beweis gestellt hatten.
1880: Im zweiten Teil des Doppelromans „Scepter und Hammer“ / „Die Juweleninsel“, der von August 1880 bis vermutlich April/Mai 1882 im 5. Jahrgang der Zeitschrift „Für alle Welt! Illustriertes Hausblatt“ erschien, ist Friedrich (Fred) von Walmy, der als Westmann den Namen Feuertod trägt, mit dem 25-schüssigen Henrystutzen ausgestattet.
1880: In den Reise-Erinnerungen aus dem Türkenreiche „Giölgeda padiśhanün“ taucht erstmals im Werk Karl Mays die Figur des Kara Ben Nemsi auf, zu deren Ausrüstung seit den Abenteuern am Roten Meer überraschenderweise Bärentöter und Henrystutzen gehören. Zuvor fand in der Erzählung zwar bereits die Tatsache Erwähnung, dass Kara Ben Nemsi die Kunst des Spurenlesens im Verlauf vorhergehender Auslandsreisen erlernt hatte (»Ich bin in fernen Ländern gewesen, in denen es viel Wildnis gibt und wo sehr oft das Leben davon abhängt, daß man alle Darb und Ethar, alle Spuren und Fährten, genau betrachtet, um zu erfahren, ob man einem Freunde oder einem Feinde begegnet.« vgl. KMW-IV.1, S. 17), dessen Identität mit dem anderen Traum-Ich Karl Mays (Old Shatterhand) wurde durch den Autor aber erst nach und nach deutlicher ausgeprägt (identische Bewaffnung, Hinweise auf etliche Auslandsreisen (vgl. KMW-IV.1, S. 438) oder bei den Indianern erlernte Reitkünste usw.).
1882: Nur um zu zeigen, dass der Henrystutzen mittlerweile zur Grundausstattung jener May’schen Helden gehörte, die in eher exotischen Gefilden unterwegs waren, sei noch erwähnt, dass der Ich-Erzähler der im Jahr 1882 veröffentlichten Erzählung „Die Both Shatters. Ein Abenteuer aus dem >wilden Westen< von Karl Hohenthal“ wiederum mit einem Henrystutzen ausgestattet wurde und Doktor Karl Sternau – alias Fürst des Felsens, alias Matava-se –, der Held des Kolportageromans „Waldröschen oder Die Rächerjagd rund um die Erde. Großer Enthüllungsroman über die Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft von Capitain Ramon Diaz de la Escosura“, sowohl den 25-schüssigen Henrystutzen (vgl. KMW-II.4, S. 1062) als auch einen Bärentöter (»Gut, sehr gut!« sagte der Graf. »Fürst des Felsens hat berühmte Kugelbüchse, Bärentödter; schießt Kugel Nummer Null. Ungeheuer schwer.« vgl. KMW-II.4, S. 1069) sein Eigen nannte.
Wunder gibt es immer wieder
Die vorstehende Auflistung zeigt sehr deutlich, wie Henrystutzen und Bärentöter nach und nach zu einem wesentlichen Ausrüstungsgegenstand der Mayschen Helden wurden. Nachdem zuerst zwei anonyme Ich-Erzähler mit dem Henrystutzen ausgestattet wurden, kam in einem Orientabenteuer der Bärentöter als zweites Gewehr dazu, sodass die Gestalt des Dichters Richard Forster, die aus der Anonymität eines nur Ich-Erzählers heraustritt, folgerichtig auch mit zwei Gewehren ausgestattet wurde. Kurioserweise taucht der Name Old Shatterhand in Karl Mays Werk erstmals in einem Orient-Abenteuer auf, allerdings findet dieser Spitzname des ansonsten anonymen Ich-Erzählers dort eher beiläufig Erwähnung. Immerhin gehören aber schon sowohl der doppelläufige Bärentöter als auch der Henrystutzen zur Ausstattung dieses Helden. Die beiden Gewehre hatten sich so bewährt, dass sie Karl May seinen Helden nicht mehr vorenthalten wollte. So bekam denn auch Old Shatterhand bei der nächsten Gelegenheit (Deadly Dust) wiederum die beiden Gewehre in die Hände. Und nachdem in dieser Erzählung die Verschmelzung der Old Shatterhand-Figur mit dem Traum-Ich des Autors begann, war es fast schon zwangsläufig, dass später auch dessen zweites Traum-Ich (der im orientalischen Raum reisende Kara Ben Nemsi) mit den gleichen Waffen ausgestattet wurde.
Mag auch das unvermittelte Auftauchen der beiden angesprochenen Gewehre am Roten Meer vordergründig an ein Wunder gemahnen, ist es bei nüchterner Betrachtung doch nur ein Schnitzer des Autors, dem im Orientzyklus interessanterweise noch ein weiterer, ähnlicher Fehler unterlief. Als nämlich Halef und Kara Ben Nemsi gegen Ende des Zyklus vor der Hütte des Kohlenhändlers Junak mit einem Bär kämpfen, zieht Kara Ben Nemsi, der zuvor in der Dunkelheit seinen Bärentöter verloren hatte, sein Messer und merkt dazu an: Es war mein alter, treuer Bowie-Kneif mit langer, krumm gebogener Klinge, welcher mich so viele Jahre treu begleitet hatte. Ein Stoß mit diesem Messer brachte, wenn richtig gezielt und kräftig geführt, selbst einem Grizzly den augenblicklichen Tod; das hatte ich erprobt (vgl. KMW-IV.6, S. 127). Die offensichtlich geglückte Generalprobe führte auch hier dazu, dass der Bär sein Leben aushauchen musste. Der aufmerksame Leser wird sich an dieser Stelle jedoch erneut gefragt haben, wo denn die Waffe auf einmal her kam. Offenbar war dem Autor entfallen, dass Kara Ben Nemsi im ersten Band des Zyklus sein Messer mit Eslah el Mahem, dem Scheik der Obeïde-Araber tauschen musste (Das war ein Tausch, den ich nicht zurückweisen durfte, wenn ich den Scheik nicht unversöhnlich beleidigen wollte. Ich gab also meinen Dolch hin. vgl. KMW-IV.1, S. 385).
Verständlich wird dieser Fehler, wenn man berücksichtigt, dass Karl May den Orientzyklus nicht an einem Stück, sondern mit teilweise größeren Unterbrechungen schrieb. Der Zyklus erschien im „Deutschen Hausschatz“ in insgesamt acht Abschnitten in einem Zeitraum von mehr als acht Jahren zwischen 1880 und 1888. Dass sich der Autor, der in der Zwischenzeit unter anderem ja auch die fünf großen Kolportageromane für Münchmeyer schrieb, gegen Schluss des Orientzyklus nicht mehr an alle Handlungsabläufe erinnern konnte, die er etliche Jahre zuvor zu Papier gebracht hatte, ist daher verständlich und leicht nachvollziehbar. Und wenn schon Henrystutzen und Bärentöter überraschenderweise im Orientzyklus auftauchen konnten, dann kann dies ein Bowie-Messer ja wohl auch. Weiß doch der Volksmund zu verkünden, dass was dem einen recht ist, dem anderen billig sein darf.
Michael Rudloff
Literaturhinweise:
·         Hoffmann Klaus: Silberbüchse - Bärentöter - Henrystutzen, "das sind die drei berühmtesten Gewehre der Welt". Herkunft, Wirkung und Legende. In: Jahrbuch 1974 der Karl-May-Gesellschaft, S. 74 – 108.
·         Hoffmann Klaus, Rascher Jochen, Richter Peter: Silberbüchse, Bärentöter, Henrystutzen. Die berühmtesten Gewehre des Wilden Westens. In: Schriftenreihe des Karl-May-Museums. Nr. 2. Radebeul 1990.
·         Kosciuszko Bernhard (Hg.): Das große Karl May Figurenlexikon. Die Figuren Karl Mays nach den Texten der Erstausgaben. Lexikon Imprint Verlag (Schwarzkopf & Schwarzkopf), Berlin 2000. Dritte, verbesserte und ergänzte Auflage.
·         Pielenz Annelotte: Karl Mays illustrierte Reiseerzählungen Band I-IX „Ausgaben letzter Hand“? Ergebnis einer Vergleichslesung; Sonderheft der Karl-May-Gesellschaft Nr. 9/1977.
·         Plaul Hainer: Illustrierte Karl May Bibliographie. Unter Mitwirkung von Gerhard Klußmeier, Edition Leipzig, 1988 (auch: K.G. Saur, München u.a. 1989).
·         Ueding Gert (Hg.): Karl-May-Handbuch, Königshausen & Neumann, Würzburg 2001. Zweite erweiterte und bearbeitete Auflage.
 
   
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