120 Jahre „grüne Bände“:
Rückblick auf eine ungewöhnliche Erfolgsgeschichte
Die Freunde Karl Mays wissen es nicht nur, sie sind auch stolz darauf, dass ihr Lieblingsautor als der meistgelesene und auflagenstärkste Schriftsteller deutscher Sprache bezeichnet werden darf. Zwar ist der unglaubliche publizistische Erfolg, der aus diesen Superlativen abzuleiten ist, in erster Linie dem Autor selbst zuzuschreiben, doch muss gleichzeitig eingestanden werden, dass der heutige Bekanntheitsgrad des Autors und seiner Romanfiguren wie Winnetou, Old Shatterhand, Kara Ben Nemsi oder Hadschi Halef Omar mit Sicherheit auch seinen Verlegern zu verdanken ist. Durch geschickte Werbung und eine glückliche Hand bei der Gestaltung der „typischen“ Karl-May-Bände trugen diese nicht unwesentlich dazu bei, dass die Werke des in seinem letzten Lebensjahrzehnt heftig verfolgten und lange Zeit auch verkannten Schriftstellers auch heute noch zum Standardrepertoire einer echten „Leseratte“ gehören. Und so sammeln immer wieder neue Generationen Leseerfahrungen in Karl Mays Traumwelten.
Da es sich im Mai 2012 zum 120. Male jährt, dass die heute noch äußerst beliebten „grünen Bände“ auf den Markt kamen, liegt es nahe, einen Blick auf die Erfolgsstory dieser Bücher zu werfen. Die Reihe der „grünen Bände“, die heute als „Karl May’s Gesammelte Werke“ bekannt sind und weit über 90 Bände umfassen, ist dem Freiburger Verleger Friedrich Ernst Fehsenfeld zu verdanken. Dieser hatte als junger Buchhändler die Idee, die in etlichen Zeitschriften zerstreuten Orient- und Wild-West-Erzählungen Mays in gesammelter Form heraus zu geben. Den Auftakt sollte die im „Deutschen Hausschatz“ über mehrere Jahrgänge hinweg in Fortsetzungen veröffentlichte Reiseerzählung „Im Schatten des Großherrn“ (Giölgeda padishanün) machen. Im Frühjahr 1891 unterbreitete Fehsenfeld dem bekannten Schriftsteller seine Idee schriftlich. Im Spätjahr wurde dann, nach einem ersten persönlichen Kontakt zwischen den beiden, ein entsprechender Vertrag geschlossen. Dieser Vertrag sollte – wie die Geschichte zeigt – beide zu wohlhabenden Männern machen.
Verlag Friedrich Ernst Fehsenfeld (1892 – 1913)
Über die Veröffentlichungen Karl Mays in den Jahren 1875 – 1912 informiert in hervorragender Weise die im Jahre 1988 von Hainer Plaul unter Mitwirkung von Gerhard Klußmeier herausgegebene „Illustrierte Karl May Bibliographie“. Anhand dieser Publikation, die jedem Sammler nur empfohlen werden kann, lässt sich die Entwicklung der „grünen Reihe“ exakt nachvollziehen. So steht fest, dass sich Fehsenfeld gleich nach dem Vertragsabschluss an die Arbeit machte. Im Jahre 1892 brachte er den oben erwähnten Reiseroman „Im Schatten des Großherrn“ komplett in sechs Bänden auf den Markt. Der erste Band (Durch Wüste und Harem [später: Durch die Wüste]) kam im Mai 1892 mit einer für die damalige Zeit ungewöhnlich hohen Startauflage von 10.000 Stück in den Handel. Bei den Bänden 2 und 3 (Durchs wilde Kurdistan, Von Bagdad nach Stambul) war Fehsenfeld etwas vorsichtiger; deren Erstauflage betrug nur fünf- bzw. siebentausend Stück. Schnell war jedoch absehbar, dass die Nachfrage nicht nachließ, so dass die in den Monaten Oktober und November 1892 ausgelieferten Bände 4 bis 6 (In den Schluchten des Balkans, Durch das Land der Skipetaren, Der Schut) wieder mit einer Auflage von je 10.000 Stück hergestellt wurden.
Der noch heute für die Bücher Mays charakteristische Buchtypus (kleinoktav, grüner Einband mit buntem Deckelbild und schwarzgoldenem, mit Arabesken verziertem Rücken), der nicht nur zum lesen, sondern auch zum sammeln der Bände verführt, wurde seinerzeit gestaltet. Es darf nicht verkannt werden, dass diesem Buchtypus ein nicht geringer Anteil am Erfolg der Buchreihe zusteht.
Nach den sechs im Jahre 1892 herausgegebenen Bänden folgten 1893 mit der Winnetou-Trilogie und dem Buch „Orangen und Datteln“ vier weitere Bände. Die Gesamtauflage der „Gesammelten Reiseromane“, wie die Reihe damals noch genannt wurde (1896 wurde der Reihentitel in „Gesammelte Reiseerzählungen“ geändert, ferner gab es auch die „Illustrierten Reiseerzählungen“), belief sich innerhalb von zwei Jahren auf 102 Tausend. Die Bücher fanden so guten Absatz, dass – von den bereits erwähnten Bänden 2 und 3 abgesehen – die Erstauflagen nie weniger als 10.000 Stück umfassten. Im Jahre 1896 ließ man beim 16. Band der Reihe (Im Lande des Mahdi I) bereits 15.000 Stück als Erstauflage drucken, was von Band 19 (Old Surehand III, 1897) bis Band 30 (Und Friede auf Erden!, 1904) Standard bleiben sollte.
Ein Blick auf die Auflagenzahlen lässt unschwer erkennen, wie erfolgreich Karl May war. Im fünften Jahr ihrer Geschäftsbeziehung (1896) brachte Karl Mays Verleger Fehsenfeld bereits den 18. Band (Im Lande des Mahdi III) der „Gesammelten Reiseromane“ auf den Markt. Allein 99.000 Karl-May-Bände verließen in diesem Jahr die Druckerei. Die Gesamtauflage betrug damit stolze 300.000 Bände. Weitere fünf Jahre später (1901) betrug der Umfang der Reihe 21 Bände und die Gesamtauflage 775.000 Stück. Bis 1906 – weitere fünf Jahre später – waren 29 Bände auf dem Markt, deren Gesamtauflage die Millionengrenze (1.005 Tausend) überschritten hatte.
Bei der Frage, welche Bände Karl Mays in den Jahren bis 1912 die höchsten Auflagenzahlen erfahren haben, würden die meisten Karl-May-Freunde wohl auf die Winnetou-Trilogie tippen. Von daher wird man wahrscheinlich mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen, dass Winnetou I (Band 7) mit einer Auflage von 73.000 Stück doch noch recht spürbar hinter der Auflage des 1. Bandes der Reihe (Durch die Wüste) zurück liegt. Während „Durch die Wüste“ eine Auflage von stolzen 84.000 Stück widerfuhr, brachten es die fünf weiteren Titel der Erzählung aus dem Reich des Großherrn auf eine Auflage von 69, 65, 60, 58 und 59 Tausend Stück. Die Bände Winnetou II und III können sich mit einer Auflage von 70 bzw. 67 Tausend Stück ebenfalls sehen lassen. Insgesamt ist jedoch erstaunlich, dass der 1. Band der Reihe noch vor der Winnetou-Erzählung rangiert. Ebenso überraschend ist, dass die Bände 2 bis 6, die ja die Fortsetzung der in Band 1 begonnen Erzählung aus dem Reiche des Großherrn bieten, in einer deutlich geringeren Stückzahl verkauft wurden. Offensichtlich eignete man sich das Wissen über die Fortsetzung der Erzählung doch recht häufig über Bibliotheksexemplare an, statt dass man die Bände selbst erwarb.
Die Gesamtauflage der insgesamt 33 Bände, die im Fehsenfeld-Verlag heraus gebracht wurden, hatte bei Mays Ableben (1912) die 1,3 Millionen Grenze überschritten. Dennoch war zu diesem Zeitpunkt unverkennbar, dass der Absatz rückläufig war. Nach Karl Mays großer Orientreise wurde sein Werk symbolisch. Da ein Großteil seiner Leser diese Entwicklung nicht nachvollziehen konnte, lag es auf der Hand, dass seine Spätwerke nicht so intensiv nachgefragt wurden. Dazu kam, dass auch der Absatz der anderen, „normalen“ Reiseerzählungen infolge der über Jahre hinweg vor Gericht und in der Presse gegen Karl May durchgeführten Hetzjagd, die Wirkung zeigte, rapide zurück ging. Diese Entwicklung konnte seinen Verleger nicht unberührt lassen, zumal Karl May sein Honorar bereits beim Druck der Bücher zu beanspruchen hatte, und nicht erst, nachdem diese auch verkauft waren.
Die Jahre bis zum Ende des 2. Weltkriegs (1913 – 1945)
Vor einiger Zeit erschien im Karl-May-Verlag, quasi als Fortsetzung und Ergänzung der oben erwähnten Bibliografie von Hainer Plaul, ein von Wolfgang Hermesmeier und Stefan Schmatz verfasster „Sonderband zu den Gesammelten Werken Karl May’s“. Dieser Sonderband, die „Karl-May-Bibliografie 1913 – 1945“, wartet mit einer Unmenge an Informationen und Daten auf und befasst sich detailgenau mit den bis zum Ende des 2. Weltkrieges herausgegebenen Auflagen der grünen Reihe.
Ein Blick auf die weitere Entwicklung der ab 1913 unter dem Titel „Karl May’s Gesammelte Werke“ firmierenden grünen Reihe zeigt, dass es dem Verlag der Karl-May-Stiftung / Karl-May-Verlag, der nunmehr Inhaber der Urheber- und Verlagsrechte war, nicht nur gelang, das Tief, in das die Beliebtheit Karl Mays gerutscht war, zu überwinden, sondern dass er dessen Popularität in gleichsam ungeahnter Form festigen konnte. Betrachtet man nur die ersten 33 Bände, die bereits schon vor dem Tod des Erfolgsautors erschienen waren, bleibt folgendes festzuhalten:
Innerhalb der fünf Jahre von 1914 – 1918 erfuhren die erwähnten 33 Bände eine Neuauflage von rd. 250 Tausend Stück, was im Vergleich mit den Vorjahren als respektables Ergebnis gewertet werden kann. Dass hieraus ein steiler Aufwärtstrend wurde, läßt der darauf folgende Fünfjahreszeitraum bis 1923 erkennen, in dem der Zuwachs (explosionsartig) weitere knapp 1,4 Millionen Stück betrug. So verließen allein im Jahr 1922 annähernd 640 Tausend Bände die Druckerei. In diesem Jahr trat dann auch infolge einer Neubearbeitung der Old Surehand-Erzählung an die Stelle des bislang dritten und letzten Bandes der gleichnamigen Trilogie der Band „Kapitän Kaiman“ (Band 19). Im folgenden Fünfjahreszeitraum (1924 – 1928) stieg die Gesamtauflage (bezogen auf die ursprünglichen 33 Bände) um weitere rd. 380 Tausend Bände, wozu bis einschließlich 1933 nochmals knapp 850 Tausend kamen. In den folgenden Jahren des Dritten Reichs (bis 1945) kamen dann nochmals knapp 1,7 Millionen Bände dazu, so dass die Gesamtauflage der ersten 33 Bände zum Ende des 2. Weltkrieges knapp 6 Millionen Stück betrug.
Da der Karl-May-Verlag aber bereits 1913 begonnen hatte, weitere Karl May Titel in die „Gesammelten Werke“ aufzunehmen und die Reihe kontinuierlich ausbaute, betrug die tatsächliche Gesamtauflage weit mehr. So wurde die Reihe unter anderem um die bei der Union Deutsche Verlagsgesellschaft erschienenen Jugenderzählungen, um diverse Sammelbände mit verschiedenen Beiträgen und um Bearbeitungen der Kolportageromane „Das Waldröschen“, „Die Liebe des Ulanen“, „Deutsche Herzen – Deutsche Helden“ sowie um Teile von „Der verlorene Sohn“ erweitert. So hatte sich, als im ersten Kriegsjahr (1939) mit „Der Fremde aus Indien“ der 65. und vorläufig letzte Band auf den Markt kam, der Umfang der Reihe nahezu verdoppelt. Die tatsächliche Gesamtauflage der „Gesammelten (Illustrierte) Reiseerzählungen / Reiseromane / Werke“ umfasste somit bis zum Ende des letzten Weltkrieges annähernd 9,4 Millionen Bände.
Da in der obigen Auflagenzählung sowohl ein Teil der sogenannten Neben- (z.B. die Autobiografie „Mein Leben und Streben" [später als Band 34, „Ich", in die gesammelten Werke übernommen]), Feldpost-, und Lizenzausgaben als auch die von den Verlegern Münchmeyer und Fischer verlegten Kolportageromane keine Berücksichtigung fanden, kamen in Wirklichkeit noch weit mehr Karl-May-Bücher „unter das Volk“, als die vorgenannte Zahl angibt. Eine Verlagsanzeige von Fischer/Münchmeyer vom 23. März 1901 verkündet allein für die dort verlegten Titel »ca. eine Million Exemplare«.
Nachdem die Reihe auf nunmehr 65 Bände angestiegen war, soll erneut der Frage nachgegangen werden, welchem Einzelband gemessen an der Auflagenzählung der erste Rang einzuräumen ist. Die Auflagenzählung weist bis 1945 für den ersten Band der Reihe (Durch die Wüste) stattliche 310 Tausend Bände aus, während die Auflage des Bandes „Winnetou I“ bereits das 370. Tausend umfasste. Mit einer Auflage von 330 bzw. 311 Tausend Bänden hatten auch die beiden nachfolgenden Winnetou-Bände (Winnetou II und III) die 300-Tausend-Marke überschritten, wie auch der Band 5 (Durch das Land der Skipetaren). Zwar weist dessen offizielle Zählung nur 258 Tausend aus, doch hatte man in der Zählung 67.000 Exemplare außer Acht gelassen, so dass die bereinigte Auflage bei 325 Tausend liegt. Überraschen dürfte die Tatsache, dass mit immerhin 485 Tausend Bänden die im Jahr 1913 in die Gesammelten Werke übernommene Jugenderzählung „Der Schatz im Silbersee“ (Band 36) an erster Stelle der Hitliste steht.
Nicht unerwähnt sollte an dieser Stelle der von den Autoren Hermesmeier / Schmatz überlieferte Höchstpreis bleiben, der für die grünen Karl-May-Bände verlangt wurde. Zum Schluss der Inflation (ab 22.11.1923) war der Verkaufspreis für einen Band der „grünen Reihe“ auf stolze 5.500.000.000.000 (Fünfbillionenfünfhundertmilliarden) Reichsmark festgesetzt.
Entwicklung in der Nachkriegszeit (1945 – heute)
Die ersten Jahre nach Kriegsende waren für den in Radebeul ansässigen Karl-May-Verlag in mehrfacher Hinsicht schwierig. Besonders nachteilig wirkte sich aus, dass es in der sowjetischen Besatzungszone nicht möglich war, Druckgenehmigungen zu erhalten und Neuauflagen auf den Markt zu bringen. Eine Verbesserung brachte 1947 die Gründung einer Vertretung des Radebeuler Verlags in Bamberg; nun konnten zumindest für die westlichen Besatzungszonen und das Ausland Lizenzen vergeben werden. 1950 wurde dann in Bamberg der Verlag Joachim Schmid gegründet, dem der Karl-May-Verlag sämtliche Urheber- und Verlagsrechte übertrug. Zehn Jahre später siedelte der Karl-May-Verlag schließlich, nach erfolgter Trennung von der Karl-May-Stiftung, offiziell nach Bamberg über.
Trotz der Hemmnisse, die sich durch die Kulturpolitik in der DDR ergaben, stieg die Gesamtauflage der „Gesammelten Werke“ unaufhaltsam. Lag sie bei Ende des 2. Weltkrieges bei annähernd 9,4 Millionen Bände, war sie zehn Jahre später bereits auf 12,3 Millionen angewachsen. Auch das Auslaufen der Urheberschutzfrist Ende 1962 konnte diesen Trend nicht bremsen. Obwohl nun auch andere Verlage mit Karl-May-Editionen auf den Markt kamen, blieben die „grünen Bände“ marktbeherrschend. So stieg denn auch die Gesamtauflage der „Gesammelten Werke“ – nicht zuletzt auch dank der Karl-May-Filme, die ab 1962 für einen Ansturm auf die deutschen Kinos führten (vgl. hierzu das im Jahr 1998 vom Karl-May-Verlag herausgegebene „Karl-May-Filmbuch“ [Sonderband zu den Gesammelten Werken]) – von 25,1 Millionen im Jahr 1963 auf rd. 56 Millionen bis 1978 bzw. 70 Millionen bis 1987 und liegt nunmehr bei rd. 80 Millionen Stück verkaufter Exemplare. Rechnet man zu dieser Summe, die sich lediglich auf die Auflagen der grünen „Gesammelten Werke“ sowie der daraus abgeleiteten Lizenzausgaben bezieht, noch die seit 1963 bei anderen Verlagen heraus gegebenen Konkurrenzausgaben dazu, kann man davon ausgehen, dass die deutschsprachige Karl-May-Gesamtauflage bei 100 Millionen liegt.