„Er hat in Freiburg [...] seine Erziehung genossen.“[1]
Kennst Du, geneigter Leser, Pater Valerius? Nein? Ich glaube aber doch, lasse Deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Vielleicht kennst Du ihn ja unter einem seiner Aliasnamen wie Aloys Penentrier oder Doktor Ungerius. Pater Valerius ist klein und schmächtig, hat ein bleiches, bartloses Gesicht und einen lauernden, durchdringenden Blick. Ach ja, ich muss erwähnen, dass er ein Vertrauter des Herzogs von Raumburg ist und diesem als Anführer der ihm unterstellten Jesuiten helfen will, eine Revolution im Königreich Norland anzuzetteln, um damit seinem Orden, der Gesellschaft Jesu, den Zugang zu diesem Land zu verschaffen.
Nun ist der Groschen sicherlich gefallen: Pater Valerius, der „feinste Schlaukopf der ganzen Kongregation“, ist einer der Hauptschurken aus Karl Mays frühem Roman „Szepter und Hammer“ (1880). Über ihn weiß Karl May nicht nur zu berichten, dass er „eines der hervorragendsten Mitglieder dieser Brüderschaft“ ist, sondern auch, dass er in Freiburg seine Erziehung genossen hat und später in Paris, Brüssel, London und Washington auftauchte, und dass mit seinem Erscheinen überall ein Streich verbunden war, den die Väter der Gesellschaft Jesu der jeweiligen Regierung spielten.
Nachdem Pater Valerius seine Erziehung, besser wäre wohl das Wort „Ausbildung“, in Freiburg genossen haben soll, wäre es interessant zu wissen, welches Freiburg gemeint ist. Da die Ausbildung der Jesuiten sicher an einem durch und durch katholischen Standort mit einer geeigneten höheren Schule erfolgte, kommen Freiburg an der Elbe (im niedersächsischen Landkreis Stade), Freiburg in Schlesien (Świebodzice), die französische Gemeinde Fribourg (Département Moselle) und Freyburg an der Unstrut (Sachsen-Anhalt) nicht in Betracht. Mit dem schweizerischen Freiburg im Uechtland und dem deutschen Freiburg im Breisgau haben wir aber gleich zwei gute Kandidaten, die nicht nur für ihre katholische Tradition, sondern auch für ihre hervorragenden Ausbildungsstätten bekannt sind. Es lässt sich daher nicht ohne Weiteres sagen, welches Freiburg Karl May bei der Abfassung des Romans im Sinn hatte.
Erschwert wird eine Aussage aber auch dadurch, dass sich die Romanhandlung nicht eindeutig datieren lässt. Christoph F. Lorenz weist in den KMG-Mitteilungen Nr. 42 vom Dezember 1979 allerdings darauf hin, dass der in „Szepter und Hammer“ angesprochene Konflikt zwischen den Staaten Norland und Süderland an den Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) bzw. an die Streitigkeiten zwischen dem Norddeutschen Bund und den Süddeutschen Staaten, die wie im Roman durch ein Bündnis der verschiedenen Kleinstaaten unter der Führung Preußens - Norlands - gelöst wurden, erinnert. Die letzteren Ereignisse legen eine Datierung in die 1860-er Jahre nahe. Auch das offensichtlich bereits recht ausgeprägte Eisenbahnnetz, das im Roman mehrfach erwähnt wird, lässt darauf schließen, dass der Roman nicht früher als in den 1860-er Jahren spielt.
Wir wollen schauen, ob ein Blick in die Geschichte der Gesellschaft Jesu hilft, der Antwort auf die Frage, ob Freiburg im Uechtland oder Freiburg im Breisgau gemeint ist, ein Stück näher zu kommen.
Zur Geschichte der Jesuiten
Die Jesuiten bilden einen kath. Regularklerikerorden, dessen Ordensnamen auf lateinisch Societas Jesu (SJ), zu deutsch Gesellschaft Jesu, lautet. Als Besonderheit ist zu erwähnen, dass die Mitglieder des durch Ignatius von Loyola (1491-1556) gegründeten Ordens neben den drei klösterlichen Gelübden Armut, Keuschheit und Gehorsam als viertes ein besonderes Gehorsamsgelübde gegenüber dem Papst ablegen. Der Orden entwickelte sich zu einem wichtigen Träger der sogenannten Gegenreformation. Theologische Gründe (u.a. die Auseinandersetzung mit dem Jansenismus sowie die Gegenposition der jesuit.-scholast. Theologie zur Aufklärung) und politische Ursachen (der Einfluss der Jesuiten als Berater und Beichtväter an Fürstenhöfen, die Verhältnisse in Übersee, wo sich die Jesuiten gegen die europäischen Kolonialherren stellten) brachten die Jesuiten im 18. Jahrhundert zunehmend in Misskredit. Nachdem die katholischen Mächte Portugal, Frankreich, Spanien und Neapel Verbote ausgesprochen hatten, hob Papst Clemens XIV. den Jesuitenorden im Jahr 1773 auf. Im Zuge der kirchlichen Restauration stellte Papst Pius VII. den Orden im Jahr 1814 dann allerdings wieder her.
Die Jesuiten in Freiburg im Uechtland
Die Gründung des im Jahr 1582 eröffneten Jesuiten-Kollegiums St. Michael in Freiburg im Uechtland erfolgte durch den später heilig gesprochenen Petrus Canisius. Der Lehrbetrieb ging dort nach 1773 – dem Jahr der Auflösung des Ordens – zwar weiter, doch wurden die Ex-Jesuiten am Kollegium lediglich weiterbeschäftigt, bis sie nach und nach ausstarben und durch andere Kräfte ersetzt werden mussten. Eine Ausbildung von Ordensnachwuchs gab es nach 1773 sicher nicht.
Nach der Wiederherstellung der Gesellschaft Jesu (1814) konnten die Jesuiten ihre alten Niederlassungen in der Schweiz allerdings wieder übernehmen, nach Freiburg im Uechtland kehrten sie 1818 zurück. Freiburg wurde in der Folge zu einem weit ausstrahlenden Zentrum katholisch-jesuitischer Restauration. Die auf Betreiben der Luzerner Regierung erfolgte Rückkehr der Jesuiten nach Luzern im Jahr 1845 gab dann aber Anlass zu heftigen Reaktionen, da einzelne Stände schon auf der Tagsatzung des Jahres 1844 die Vertreibung der Jesuiten gefordert hatten. Der Vorgang führte letztendlich zur Gründung des Sonderbunds und zum sogenannten Sonderbundkrieg, dessen Ausgang 1847 die Ausweisung der Jesuiten aus der Schweiz und die Aufnahme eines Jesuitenverbots in die Bundesverfassung von 1848 (Art. 58) nach sich zog. Die Bundesverfassung von 1874 erweiterte das Verbot des Jesuitenordens auf jede Tätigkeit in Kirche und Schule (Art. 51). Dieser konfessionelle Ausnahmeartikel wurde erst 1973 durch eine Volksabstimmung formal aufgehoben.
Nach 1848 lebten nur vereinzelt Jesuiten in der Schweiz. In ihrer Tätigkeit blieben sie auf Jahrzehnte hinaus auf ein Minimum beschränkt. 1947 erfolgte die Errichtung einer unabhängigen Schweizer Vizeprovinz mit Sitz des Schweizer Vizeprovinzials in Zürich, 1983 folgte dann die Gründung einer eigenen Schweizer Provinz.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Geschichte von Freiburg im Uechtland eng mit der Geschichte des Jesuitenordens verknüpft ist. Die Jesuiten waren dort nach der Neugründung des Ordens im 19. Jahrhundert von 1818 bis 1847 tätig.
Die Jesuiten in Freiburg im Breisgau
Der Einzug der Gesellschaft Jesu in den Akademischen Lehrkörper der Universität von Freiburg im Breisgau erfolgte 1620, das Freiburger Jesuitenkolleg gehörte organisatorisch zur oberdeutschen Provinz, die die habsburgischen Vorlande, Tirol und die Schweiz umfasste. In Folge der Auflösung des Jesuitenordens durch Papst Clemens XIV. im Jahr 1773 wurden alle Jesuitenprofessoren der theologischen Fakultät entlassen. In der philosophischen Fakultät wäre der plötzliche Weggang der jesuitischen Lehrkräfte schwerwiegender gewesen, hier behielten einige Professoren ihre Lehrstühle. Eine Ordensausbildung war aber nach 1773 in Freiburg im Breisgau mit Sicherheit nicht möglich.
Als dem Markgrafen von Baden, der kurz darauf zum Großherzog befördert wurde, zu Beginn des 19. Jahrhunderts die katholischen Gebiete des vorderösterreichischen Breisgaus zugesprochen wurden, gab es keinen Jesuitenorden. Dieser wurde erst im Jahre 1814 wiederhergestellt, die Jesuiten konnten allerdings nicht an ihre alten Wirkungsstätten wie z.B. an der Universität Freiburg zurückkehren, da der protestantische Landesherr kein Interesse an deren Auftauchen hatte. Die Stellung der katholischen Kirche war im Großherzogtum Baden sogar nach Gründung des sich an den badischen Landesgrenzen orientierenden Erzbistums Freiburg im Jahre 1827 keine einfache und starke.
Die badische Regierung wurde erst in Folge der Revolution von 1848/49 etwas nachgiebiger gegenüber der katholischen Kirche und erlaubte ihr erstmals im Jahre 1849, Volksmissionen durchführen zu lassen. In diesem Zusammenhang kamen im Jahre 1850 dann wieder Jesuiten nach Freiburg. Eine offizielle Niederlassung konnten sie hier aber genau so wenig gründen, wie sie auch nicht zum Lehrbetrieb an der Universität oder an einer anderen Schule zugelassen wurden. Das 1872 von Reichskanzler Bismarck im Verlauf des Kulturkampfes eingeführte Jesuitengesetz, das die Niederlassung des Jesuitenordens auf dem Boden des Deutschen Kaiserreiches verbot, war für den Bereich des Großherzogtums Baden unnötig. Dort gab es nicht nur keine Jesuitenniederlassung, die badische Regierung war in den Jahren zuvor sogar auch gegen andere katholischen Orden vorgegangen.
Fazit
Seine Ordensausbildung konnte Pater Valerius auf keinen Fall in Freiburg im Breisgau absolvieren, da es dort zur fraglichen Zeit keine Jesuiten gab. Er hätte eine solche allerdings sehr wohl vor der Ausweisung der Jesuiten aus der Schweiz im Jahre 1847 in Freiburg im Uechtland hinter sich bringen können. Bevor er dann seine Intrigen in Norland zu spinnen versuchte, tauchte er – wie uns Karl May wissen lässt – in Paris, Brüssel, London und Washington auf. Fast könnte man dem Jesuitenpater ob all seiner dort verübten intriganten Machenschaften böse sein, zumal ihm im Nachhinein noch eine weitere Betrügerei anzulasten ist, die noch nicht einmal Karl May in seinem Bemühen, dem Zeitgeist zu huldigen und dem Publikum einen bösen und verschlagenen Jesuiten zu präsentieren, erkannte. Pater Valerius war nämlich – wir verraten es Dir, geneigter Leser, nur hinter vorgehaltener Hand – gar kein richtiger Jesuit, sondern ein ganz übler Betrüger und Hochstapler. Sein Ordensname Valerius ist nämlich, wie bei den meisten Ordensgemeinschaften üblich, ein Vorname. Jesuiten tragen aber gar keine Ordensnamen, sie behalten ihre bürgerlichen Namen und sprechen sich zu allem Überfluss sogar mit dem Familiennamen an (z.B. Bruder Müller oder Pater Müller). Da nun Pater Valerius Ordensnamen nicht zur behaupteten Ordenszugehörigkeit passt, ist man gut beraten, auch den weiteren Angaben zu seiner Person zu misstrauen. Letztendlich können alle Details seiner Vita so falsch sein, wie sein Ordensnamen oder seine Ordenszugehörigkeit. Zum guten Schluss ist daher auch nicht sicher, ob der böse, böse Hochstapler Pater Valerius tatsächlich – wie behauptet – in Freiburg seine Erziehung (Ausbildung) genoss.
Michael Rudloff
[1]Karl May: Scepter und Hammer. Die Juweleninsel. Reprintdruck der Karl-May-Gesellschaft nach "Für alle Welt" 1880 - 1882. Mit einer Einführung von Herbert Meier. Hamburg o.J. (1978). Seite 20, Spalte B.
Der vorstehende Text wurde in den Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft Nr. 164 (2010) veröffentlicht.