„Freuden und Leiden eines Vielgelesenen“
Mit dem Titel „Freuden und Leiden eines Vielgelesenen“ überschrieb Karl May einen Beitrag über sich selbst, der im Oktober 1896 im „Deutschen Hausschatz“ veröffentlicht wurde. Am 29.11.2012 referierte Dr. Albrecht Götz von Olenhusen beim Treffen des Karl-May-Freundeskreises Freiburg über diesen Text. Elf Personen waren an diesem Abend zusammen gekommen, um seinen äußerst interessanten Ausführungen zu lauschen und anschließend in einen regen Gedankenaustausch über das Gehörte und Karl Mays Verhalten einzutreten.
Da die „Freuden und Leiden eines Vielgelesenen“ bislang vorwiegend als zwar skurrile und humoristische, aber dennoch autobiographische Schrift eingestuft wurden, in der May seinen Alltag als von Fans bestürmter Schriftsteller am Beispiel eines „normalen“ Wochentags schildert und den Lesern einen Einblick in persönliche Verhältnisse bietet, ging der Referent zum einen der Frage nach, was in diesem Text den realen Lebensumständen Mays im Jahr 1896 zuzuschreiben und was Fiktion ist. Er zeigte aber auch die Lebensumstände, vor deren Hintergrund der Text entstand, auf. May veröffentlichte seinerzeit ja nicht nur im „Deutschen Hausschatz“ des Kommerzienrats Pustet; seit 1892 kamen seine Reiseerzählungen beim Fehsenfeld-Verlag heraus und mit dem Verlag von Wilhelm Spemann bestand sogar ein Exklusivvertrag, an den er sich allerdings nicht hielt und aus dem er seit 1892 heraus zu kommen suchte. Dr. Götz von Olenhusen zeigte in einleuchtender Weise auf, weshalb sowohl Pustet als auch Spemann ursprünglich kein großes Interesse hatten, mit Karl-May-Texten den Buchmarkt zu erobern. So bilden letztendlich sowohl die unterschiedlichen Interessen von May und Pustet als auch Differenzen der beiden über eine Erhöhung des Honorars mit eine Hintergrundfolie für das Verfassen der „Freuden und Leiden eines Vielgelesenen“. Ein Text, in dem die geschilderten Ereignisse im Tagesverlauf immer unwirklicher werden, bis schließlich sogar ein vagabundenhaft aussehender Besucher namens Kraft den Balkon der Villa "Shatterhand" erklettert und dem Schriftsteller in gebrochenem Deutsch Grüße von Sir David Lindsay übermittelt. Mit diesem Besucher dürfte Robert Kraft gemeint sein, der bei Münchmeyer, einem Verleger, für den Karl May früher auch schon geschrieben hatte, eine Vielzahl von Kolportageromamen verfasste. May lässt somit in seinem Text einen „Konkurrenten“ auftreten, stellt diesen vagabundenhaft dar und degradiert ihn zum Boten einer seiner Romanfiguren.
Hätte Karl May gewusst, dass ihm dieser Text aus dem Jahr 1896 drei Jahre später von Fedor Mamroth, dem Feuilleton-Redakteur der Frankfurter Zeitung, und von anderen als unerträgliche Angeberei vorgehalten wird, hätte er sich die „Freuden und Leiden eines Vielgelesenen“ vielleicht verkniffen. Aus heutiger Sicht müsste man dies allerdings als schade bezeichnen, denn amüsant sind die „Freuden und Leiden eines Vielgelesenen“ allemal. Und nach dem hervorragenden Vortrag von Dr. Albrecht Götz von Olenhusen werden die meisten seiner Zuhörer die "Freuden und Leiden" nochmals nachlesen und ihre Freude an ihm haben. Freuen kann man sich auch auf das Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 2013, in dem ein Aufsatz über die Hintergründe der "Freuden und Leiden" veröffentlicht wird.
Michael Rudloff